ENTSTEHUNG: Pyke
„Thalassophobie: die ständige und große Angst vor tiefen Gewässern.“
Falls du keine gesunde Angst vor dem Ozean hast, solltest du sie entwickeln. Aber nicht vor dem Ertrinken oder dem Gewicht der dröhnenden Wellen. Sondern Angst vor dem, was in den Untiefen lauert. Angst vor Pyke.
Als Pyke 2018 in der unteren Lane mit der Jagd auf seine Beute begann, empfanden viele sein Kern-Gameplay als Schock. Noch nie hatte es in League einen aggressiven Assassinen auf höchstem Niveau gegeben, der darauf ausgelegt war … als Supporter gespielt zu werden.
Heute, fast fünf Jahre nach seiner Veröffentlichung, ist es Zeit für eine gründliche Analyse der Entwicklung des Supporters, der die untere Lane für immer verändert hat – Pyke, der Schlitzer vom Bluthafen.
Das „Warum“ hinter dem Assassinen
„Alle hielten mich für verrückt, als ich den Ansatz zum ersten Mal im DNA-Raum (Design, Narrative, Art – Design, Story, Kunst) vorgeschlagen habe“, erinnert sich Lead Producer Ryan „Reav3“ Mireles. „Alle dachten, ein Assassine als Supporter wäre unmöglich. Es war einer dieser Momente, wo alle den Kaffee rausprusteten.“
In einer Rolle, die dem AD-Carry helfen soll, Kills zu sichern und am Leben zu bleiben, scheint ein blutrünstiger, untoter, hinterlistiger Mann kaum Sinn zu ergeben. Aber aus strategischer Sicht ergab ein Assassinen-Supporter sogar sehr viel Sinn.
Beginnen wir mit ein wenig Kontext. Bevor Pyke veröffentlicht wurde, durchlebte League gerade eine Warteschlangenkrise. Supporter war die unbeliebteste Rolle im Spiel, und das beeinflusste nachhaltig die Gegnersuche auf allen Spielniveaus.
„Es war wirklich ein Riesenproblem“, bekräftigt Game Designer Jonathan „EndlessPillows“ Fuller. „Der Schutz vor dem automatischen Auffüllen wurde zu dieser Zeit gerade zu einem echten Thema, weil wir so viele Spieler zwangsweise zu Supportern machten, die das gar nicht wollten.“
Teams aus allen Bereichen von League bemühten sich um Lösungsansätze. Das Systemteam begann mit der Arbeit an Missionsgegenständen für Supporter, aber das Champions-Team hatte noch keinen Auftrag zur Behebung des Problems erhalten.
„Damals war das Champions-Team unsicher, ob es überhaupt helfen konnte“, erläutert Reav3. „Aber ich habe mich mit dem Problem beschäftigt und dachte: ‚Hm, die Spieler haben eine echte Beziehung zu den Champions in League. Manchmal wechseln sie sogar die Rolle, wenn ein bestimmter Champion sie nur genug begeistert.‘ Und ich fragte mich, ob wir nicht die Warteschlange für Supporter allein dadurch vergrößern könnten, dass wir einen geeigneten Champion veröffentlichen.“
Aber was konnte einen Champion so ansprechend machen, dass Spieler sich von anderen Rollen abwendeten und in die Supporter-Warteschlange wechselten? Um diese Frage zu beantworten, nahm das Team die bestehenden Champions genau unter die Lupe, mit besonderem Augenmerk auf die Supporter.
„Als wir uns die Thematiken der existierenden Supporter-Champions im Spiel ansahen, fiel uns auf, dass kaum etwas Dunkles oder Böses dabei war“, sagt Reav3. „Die meisten Supporter-Champions waren hell, farbenfroh und fröhlich. Und selbst wenn sie ein bisschen böse waren, so wie Zyra, regierte dennoch das Strahlende und Bunte … nur bei Thresh nicht.“
Nicht alle Supporter-Champions existieren nur, um die Lebenden zu heilen oder ihnen zu helfen. Manche fangen Seelen in einer Laterne ein, um sie bis in alle Ewigkeit quälen zu können. Thresh war der dunkle, kantige Bösewicht, den das Team als philosophische Inspiration für seinen neuen Supporter benutzte.
„Wir nahmen uns Thresh vor und sahen, dass die Warteschlange für Supporter nach seiner Veröffentlichung tatsächlich größer geworden war“, teilt Reav3 mit. „Er war ein Supporter, der vor allem Kämpfer-Spieler ansprach. Obwohl eine Art Tank, hatte er auch zahlreiche Spielmechaniken, die ihn zu einem natürlichen Kandidaten für Spieler machten, die einen Kämpfer als Hauptchampion wollen.“
Aber wenn das Champions-Team etwas Neues erschaffen will, lautet die Mission selbstverständlich, die Gameplay-Fantasie eine neue Richtung einschlagen zu lassen. Dieser neue Supporter durfte nicht einfach ein weiterer robuster Schläger-Supporter wie Thresh werden. Das Ganze musste einen neuen Aspekt haben und so beliebt sein, dass die Anzahl der Supporter ansteigt.
Eines ist in League of Legends nämlich unumstößlich: Nichts ist beliebter als ein Assassine.
Mehr als ein Ertrunkener
Obwohl der Gameplay-Ansatz Sinn ergibt, scheint ein Assassine als Supporter-Champion irgendwie nicht zu passen. Warum nutzt er seine Jagdfähigkeit, um seinem Team zu helfen? Wer genau ist Pyke?
Wenn du seine Geschichte gelesen hast, dann weißt du, dass Pyke früher Fischer war. Aber er war kein gewöhnlicher Rutenschwinger mit Bierdose. Er war ein Wahnsinniger. Pyke hatte sich darauf spezialisiert, Monsterfische zu fangen. Dazu stürzte er sich von einem Boot auf den Fisch und versenkte Harpunen und Haken in seinem Fleisch. Cooles Zeug, du weißt schon.
„Er war im Grunde ein Jaullfischer, ein einfacher Arbeiter, der eben mit diesen Booten rausfuhr“, sagt Reav3. „Genau wie die Typen bei ‚Der gefährlichste Fang‘ mit ihrem extrem riskanten Job, nur noch viel tödlicher, denn wir sind in Bilgewasser. Und er wurde gut bezahlt. Aber nicht so gut wie die Kapitäne, die diese Fischfangfirmen leiten.“
Sicherheit am Arbeitsplatz und gute Arbeitsbedingungen hatten keine hohe Priorität, wenn Pyke zum Fischen ging. Diesen Kapitänen ging es nur darum, einen Fisch reinzubringen und dafür einen Scheck zu kassieren. Und Pyke lieferte genau das mit Wonne. Bis zu jenem Tag, an dem Pyke und seine Crew mal wieder Jagd auf Jaullfische machten.
Falls du dich mit dem Tiefsee-Ökosystem von Runeterra nicht so gut auskennst, sei gesagt, dass Jaullfische riesige Kreaturen sind, die vor allem wegen der wertvollen Saffilit-Säcke bekannt sind, die in ihren Mäulern wachsen. Saffilit ist eine leuchtende blaue Substanz, die zur Herstellung verschiedener magischer Destillationen verwendet wird.
Pyke hatte als einer von wenigen Fischern den Mut, Saffilit aus dem Maul eines lebenden Jaullfischs zu sammeln. Aber dieser besondere Jaullfisch sollte für Pyke keine gewöhnliche Jagdbeute werden. Er verschlang ihn nämlich komplett am Stück. Seine Besatzung durchtrennte die Sicherheitsleine und ließ ihn im Bauch der Bestie zurück, anstatt bei einem Rettungsversuch ihr eigenes Leben zu riskieren.
Es ist nach wie vor unklar, wie Pyke das Verschlingen durch einen Jaullfisch überlebt hat, oder ob er es überhaupt überlebt hat. Denn als er wieder auftauchte, war Pyke kein Mensch mehr. Er war ein Meisterjäger – ein Phantom, das seine Beute aus der Tarnung heraus jagte. Ein Geist voller Groll. Und mit einer Liste.
Und wer stand ganz oben? Der Kapitän und die Crew des Schiffs, die ihn zum Sterben zurückgelassen haben. Und danach? Nun, sagen wir mal so: Auf Pykes Liste stehen immer Namen in frischer Tinte.
„Pykes ursprünglicher Autor, Matthew Dunn, war sehr an dem Konzept von Pykes Rachefeldzug interessiert, in dessen Verlauf er seine Menschlichkeit mehr und mehr verliert“, sagt Conor „fizzNchips“ Sheehy, Autor von Pykes erweiterter Hintergrundgeschichte in Legends of Runeterra. „Der Grund, warum jemand auf seine Liste kam, wurde zunehmend fadenscheiniger. Die Liste wurde zu einem Spiegelbild dessen, was aus ihm geworden war, nicht mehr des Unrechts, das man ihm angetan hatte. Sie wurde ein Spiegelbild seines eigenen mörderischen Charakters.“
Aber wie sieht ein mörderischer Monsterfischer aus, der vielleicht tot ist oder auch nicht?
„Wenn wir zu sehr an dem Bild des Ertrunkenen festgehalten hätten, käme wahrscheinlich eine Art Zombie mit grüner Haut heraus“, erläutert Larry „TheBravoRay“ Ray. „Und Tote sind normalerweise nicht gerade agil und schnell. Als mussten wir ohne Kontext herausfinden, was wir visuell ausdrücken wollten. Das war eine ziemlich herausfordernde Aufgabe.“
Erst als Charakterkünstler Victor Maury die detaillierte Illustration (oben) überarbeitet hatte, fasste das Team Vertrauen zu der visuellen Richtung, in die sich Pyke entwickelte. Aber einige abschließende Details mussten noch ins Reine gebracht werden.
„Ein weiteres großes Thema waren Pykes Haare“, ergänzt TheBravoRay. „Wir hatten Pyke mit Glatze, mit Cornrows, mit Dreadlocks, alles Mögliche. Also haben wir mit Joshua Parker, einem unserer Techniker, und Riot Noir (Anmerkung des Autors: Riot Noir ist eine Riot Identity Group, die unternehmensweit schwarze Rioter zusammenbringt) einige dieser Ideen diskutiert. Wir wussten, dass unsere gewählte Identität für Pyke nicht bedeutete, dass wir bei seiner Frisur irgendwelche Klischees bedienen mussten
Als Pyke langsam so aussah, wie man sich den harten, fiesen Hund aus seiner Geschichte vorstellt, war dem Team klar, dass er nun tödliche Fähigkeiten brauchte, die zu seiner mörderischen Natur passen. Und so begann die Arbeit an einem Fähigkeitenset, das ihn in die Lage versetzte, gegnerische Champions in Fischfutter zu verwandeln.
Zum Töten gemacht
„Zu Beginn haben wir mit zahlreichen Gameplay-Konzepten jongliert, um Pyke als Supporter attraktiver zu machen“, sagt EndlessPillows. „Einige Ideen fanden wir richtig gut, aber was uns am Ende wirklich begeistert und unsere Leidenschaft geweckt hat, war ein Konzept, das wir ursprünglich Dieb-Supporter genannt haben. Und von Anfang an war klar, dass er Tarnung brauchte.“
Tarnung war eine Mechanik, die zu der Zeit in der unteren Lane nicht oft anzutreffen war. Das Team griff die Idee auf und setzte sie in „Geisterhafter Tauchgang“ um, Pykes W, mit dem er Möglichkeiten für andere – tödlichere – Fähigkeiten schaffte.
„Letztlich ging es darum, dass Spieler sich nur einen kurzen Moment lang wie Assassinen fühlen müssen“, erklärt EndlessPillows. „Wenn das Fähigkeitenset also dafür sorgt, dass irgendwann ein Kill praktisch garantiert ist, wäre dieses Ziel erreicht. Das war unser Ansatz für Pykes Ult. Wir befriedigten damit den Blutdurst der Spieler, die keinen Supporter spielen wollten.“
Pykes Ult „Tod aus der Tiefe“ wurde rasch zu einem zentralen Punkt seines Fähigkeitensets und rundete seine Assassinen-Fantasie ab. Anfangs hatte die ultimative Fähigkeit keine Rücksetzung bei einem Kill, aber das Team wusste, dass ein echter Assassine in einem Teamkampf mehr als einen Kill erzielen können sollte.
Daher wurde sein übriges Fähigkeitenset darauf aufgebaut, dass Pyke das gegnerische Team behandelt wie Riesenfische im Meer – er springt von Ziel zu Ziel und filetiert exekutiert sie der Reihe nach. Dazu setzt er dann ein paar passende Werkzeuge ein.
„Pykes ursprünglicher Konzeptkünstler, Chris Campbell, hatte die Idee, Pyke dieses verrückte Angelhakending zu geben. Und zu dem Zeitpunkt hatte er keine Haken-Mechanik in seinem Fähigkeitenset. Es sah klasse aus, aber wir befürchteten, die Spieler würden davon ausgehen, dass Pyke Gegner mit dem Haken nur zu sich heranziehen würde. Also entfernten wir uns wieder davon und landeten schließlich bei seiner Harpune. Und dann hat die Harpune doch noch eine Art Haken-Mechanik erhalten“, lacht EndlessPillows.
Frühere Versionen von Pykes Q zogen Einheiten nicht nur zu ihm, sondern hielten sie danach an Ort und Stelle fest. Bei Spieltests erkannte das Team recht bald, dass Pyke mit Tarnung, einem Sprung mit betäubender Flächenwirkung und einer Ult, die Kills aneinanderreihen kann, schon recht stark war, und dass ein (Angel)Haken, mit dem er wie Blitzcrank Gegner sofort heranziehen kann, einfach zu viel wäre.
Das Design-Team brauchte also eine Möglichkeit, dass Pyke den mörderischen Fischer ausleben konnte, ohne seine Gegner in der Lane zu leicht einzupökeln. Pykes Q sollte keine Schaltfläche für den sofortigen Sieg sein, sondern eine Möglichkeit, sein Können zu zeigen.
„Wir haben diese großartige Mechanik gefunden, mit der Pyke seine Harpune auflädt wie Vi ihr Q. Es gibt also immer eine festgelegte Entfernung, er zieht den Gegner also nicht direkt zu sich heran“, erklärt EndlessPillow. „Durch die festgelegte Entfernung ist das Ganze nicht mehr wie ein Haken von Blitzcrank, der im Grunde ein Todesurteil ist. Du kannst coole Sachen in Nahkampfreichweite machen, zum Beispiel Gegner hinter dich schleudern oder sogar über eine Mauer, wenn du entsprechend positioniert bist.“
Aber wenn Pyke seine eigenen Kills vorbereitet und auch durchführt, stellt sich natürlich eine große Frage: Wo genau ist da die Supporter-Charakteristik?
„Es hat uns wirklich nervös gemacht, einen Supporter hinzuzufügen, der problemlos Spieler töten kann. Das war vor Supporter Brand und dem Carry-Support-Metaspiel“, erinnert sich EndlessPillows. „Auch der soziale Aspekt hat uns Sorgen gemacht. Was hält dein AD-Carry davon, wenn du buchstäblich versuchst, Kills zu stehlen?“
Außer einer hübschen K/T/U, um damit zu prahlen, bedeuten Kills auch, dass Spieler mehr Gold verdienen können. Gold. Dem Team war völlig klar: Wenn Pyke Kill über Kill über Kill einsackt, muss ein Weg gefunden werden, den AD-Carry zu bezahlen.
„Deshalb teilt Pyke sein Gold – sozusagen als soziales Ablassventil“, erklärt EndlessPillows. „Die Ressourcen aus dem Kill erhältst du so ohnehin. Wenn Pyke einen Triplekill erzielt, hat Vayne kein Problem damit, weil sie dafür auch 600 Gold kassiert.“
Der Klang des Untertauchens
Wenn du schon gegen Pyke gespielt hast, dann weißt du, dass es keinen furchterregenderen Augenblick gibt als den, wenn er vor dir verschwindet und dir dieses Geräusch das Blut in den Adern gefrieren lässt, das signalisiert, dass du in Reichweite seiner Ult bist. Oh-oh …
Diesen „Oh-oh“-Moment hat das Soundteam sehr ernst genommen, als es Pykes Audio-Suite erstellt hat. Für viele Spieler sind Pykes Soundeffekte die kultigsten im gesamten Spiel.
„In frühen Projektphasen arbeiten wir normalerweise mit DNA zusammen, um darüber zu sprechen, wie wir das Erlebnis bereichern können“, erklärt Brandon „Riot Sound Bear“ Reader, Manager of Sound Design. „Dieser Prozess ist sehr intim und macht unsere Arbeit wirklich einzigartig.“
Sobald das Team ein klares Ziel vor Augen hat, sammelt es einen ganzen Katalog von Geräuschen und nimmt neue auf, die sie passend für den Charakter halten. Im Fall von Pyke haben sie stundenlang Aufnahmen in einem Pool gemacht und den Klang eines Instruments manipuliert, das passenderweise Waterphone heißt.
Brian Higa und das Soundteam zeigen, wie sie Teile von Pykes Sounds aufgenommen haben.
„Sobald wir alle gewünschten Geräusche haben, erstellen wir daraus unsere eigene Geschichte“, ergänzt Riot Sound Bear. „Pykes Sounddesigner Brian Higa hat diese akustische Geschichte von einem Mann zusammengestellt, der sich in einer Taverne betrinkt. Er verlässt die Taverne und geht auf einen Pier in den Docks. Und dabei sieht er etwas im Wasser. Plötzlich springt eine Person aus dem Wasser, greift den Betrunkenen an, zieht ihn in die Tiefe und er geht unter.“
Das Gefühl, schnell unter Wasser gezogen zu werden, war ein zentraler Punkt der Arbeit des Teams an Pyke. Jeder, der sich Pykes Ende des Beckens nähert, soll diese Spannung und Angst spüren.
„Du weißt, wenn er in deine Nähe kommt. Das soll furchterregend sein“, grinst Riot Sound Bear. „Es ist ein schreckliches Gefühl, dass jemand plötzlich rauskommen und dich holen wird. Du wirst unter Wasser gezogen, und das in Surroundsound.“